KARATE
Kampfkunst - Selbstverteidigung - Gesundheit - Lebensphilosophie

Gradierungsystem

Hierarchie im Karate – Wert und Vergleich der Grade oder: Was ist ein Schwarzgürtel

von Sensei Maurizio Gerussi

Mich belustigen immer wieder Artikel in Zeitungen oder anderen Medien wie: «... wow, er/sie ist Braungürtel im Karate ...». Dies ist in etwa wie wenn man sagen würde: «... wow, er/sie ist im 3. Lehrjahr der Coiffeurlehre ...».

Die Frage wann man ein «Meister» ist, wurde mir schon oft und wird mir immer wieder gestellt.
Ich vergleiche es gerne mit der Wirtschaft bzw. dem Berufsleben oder dem Militär.
Wie lange geht es denn bis jemand Schwarzgurtträger ist? Sagen wir mal mindestens 4 Jahre, eher oder meistens länger. Und dann ist er/sie «Meister»? Wenn jemand eine Lehre absolviert hat, also ein EFZ hat, oder das Gymnasium, also die Matura hat, dann ist dies vergleichbar mit dem Schwarzgürtel. Er/sie ist aber noch weder Vorarbeiter, Projektleiter, Techniker (FH), Ingenieur oder Meister. Ein Schwarzgurtträger hat einfach ein EFZ in Karate, weder mehr noch weniger.

Oder schauen wir mal das Militär. Vor ein paar Jahren habe ich einen Vergleich mit dem Militär gemacht und dabei etwas Interessantes festgestellt.

Das Graduierungssystem im Militär und in den Kampfkünsten gleicht sich auf geradezu erstaunliche Art:

 

Wann ist denn jemand im Militär ein «Meister»? Ein Leutnant, 1. Offiziersgrad und vergleichbar mit dem 1. Dan, wird in der Armee wohl kaum als «Meister» angesehen. Ein guter Kollege von mir ist Brigadier. Er meint frühestens ab dem Grad eines Oberst könne man als «Meister» gelten. Also umgemünzt auf Karate frühestens ab 6. Dan. Ich glaube das ist doch ziemlich realistisch. Also «Meister» ab 6. Dan und «Grossmeister» ab 9. Dan (Hanshi). 

Für mich sind 1. - 3. Dan deshalb höchsten Fortgeschrittene, was meine Erfahrung und Arbeit mit solchen Graden auch immer wieder bestätigt.

Auf 10'000 Leute, die mit dem Üben einer Kampfkunst beginnen, wird die Hälfte in den ersten 6 Monaten damit wieder aufhören. 1'000 werden ein Jahr durchhalten, 500 zwei Jahre und nur 100 werden auf 3 Jahre kommen. Von den genannten 10'000 zu Beginn, werden weniger als 20 die Prüfung zum 1. Dan bestehen, weniger als 5 jene zum 2. Dan und nur einer wird den Grad des 3. Dan erreichen.


Schwarzer Gürtel als Ziel?


Viele, die Karate betreiben setzen sich das Erreichen des schwarzen Gürtels zum Ziel. Wie oben schon dargelegt aber ist der schwarze Gürtel nur ein Zwischenschritt. Mit dem schwarzen Gürtel fängt Karate-Do erst richtig an, so wie mit einem EFZ das Berufsleben erst richtig anfängt, oder mit einer Matura die Uni.

Ganz grundsätzlich sollte man sich im Karate-Do keine Ziele setzen. Ziele setzt man sich im Sport. In einer Kunst wie Karate-Do, dem «Weg der leeren Hand», den man das ganze Leben lang, bis ins hohe Alter, beschreiten kann, kann man höchsten - wenn überhaupt - Zwischenziele haben. Ein solches Zwischenziel kann durchaus der schwarze Gürtel, der 1. Dan, sein. Dann gehört man zur Kaste der Dan-Träger und kann am alljährigen Dan-Kollegium, das jeweils anfangs Dezember stattfindet, teilnehmen.

Wenn sich aber jemand unbedingt ein Ziel im Karate-Do setzen will, dann wieder «Weissgurt» zu werden.
Wie das Gürtelrad links zeigt, beginnt man mit dem weissen Gürtel... und endet mit dem weissen Gürtel, der Kreis schliesst sich sozusagen. Wie das geht? Irgendwann, nach Jahren intensiven Übens, darf ein Karate-Ka die Prüfung zum schwarzen Gürtel absolvieren. Besteht er/sie die Prüfung, darf ein schwarzer Gürtel getragen werden. Durch jahre- und gar jahrzehntelanges Tragen des schwarzen Gürtels wird die schwarze Schicht über der weissen Baumwolle abgewetzt und der Gürtel wird langsam und zusehends weisser, bis er schliesslich fast wieder ganz weiss ist, wie das Bild unten links zeigt. So schliesst sich der Kreis.

Ähnlich verhält es sich mit dem Performen von Katas. Irgendwann, nach vielen Jahren und Jahrzehnten des Übens, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, ist das Vorführen und Üben von Katas mit schwierigen Techniken und Sprüngen nicht mehr möglich. Der Kopf wüsste zwar wie es geht, aber der Körper kann es nicht mehr. Dann sind nur noch die einfachen Anfänger-Katas möglich. Auch hier schliesst sich der Kreis.

Wenn man sich also Ziele setzen will dann:

  • wieder «Weissgurt»-Träger zu werden

oder

  • mit 91 Jahren, wie Nagamine-Sensei, in einer Sporthalle vor tausenden von Zuschauern eine Kata vorzuführen.

Ossu!